Doku ist Glückssache?
Wenn man die Lehre der Hochschule mit der Erfahrung der Dienstleister kombiniert, kann man erstaunliche Ergebnisse erzielen.
Es ist ja eigentlich traurig, dass auch 2016 noch kein Technischer Redakteur eine standardisierte Metrik zur Bewertung seiner eigenen Redaktionsprodukte und -prozesse vorweisen kann. Die Hochschule München hatte im vorletzten Jahr zusammen mit eigenen Absolventen und der Unterstützung eines Dokumentationsdienstleisters ein Projekt aus der Taufe gehoben, dass Technische Redakteure und auch Berater in die Lage versetzen kann, vernünftige Vorschläge zur Verbesserung in der Technischen Dokumentation zu machen.
Basierend auf dem Dreieck aus "Struktur-Prozess-Ergebnis" ist ein neues Dreieck aus "System-Produkt-Prozess" entstanden, das das Qualitätsmanagement verbessern soll. Das Produkt, also die Dokumentaton (in welcher Form auch immer) ist bereits im letzten jahr vorgestellt worden. Um die Ergebnisqualität zu messen, wird die Dokumentation einem komplexen Kriterienkatalog aus 120 Kriterien unterzogen. Die Kriterien werden gruppiert und anhand einer Skala von 1 bis 4 bewertet. Daraus ergibt sich eine Kurve, deren einzelne Werte mit einem Multiplikator gewichtet werden. Dieser Multiplikator sind die Unternehmensziele, die in sich wiederum priorisiert werden und von der Unternehmensleitung stammen.
Aus dem Produkt ergibt sich eine Zustandsbeschreibung der Technischen Dokumentation und auch eine Erkenntnis über die größten Schwächen. Und leider ist dies bereits die erste Hürde, die viele Ersteller in der technischen Dokumentation nicht nehmen können/wollen. Das Ergebnis wird nämlich oft nur "aus dem Bauch" beurteilt. Und zwar von jedem Beteiligten (Kunde, Redakteur, Auftraggeber/Hersteller) anders.
Allerdings ist die Produktanalyse nur eine Momentaufnahme, aus der keine Rückschlüsse gezogen oder sinnvolle Maßnahmen getroffen werden können.
Der zweite, aber mindestens genauso wenig beachtete Schritt im Rahmen eines Qualitätsmanagements ist die Prozessanalyse: "Wer macht was und zu welchem Zeitpunkt?" Auch dafür gibt es einen Kriterienkatalog, der bewertet, wie störungsfrei und funktional die eingesetzten Prozesse sind: Muss der Azubi die Dokumentation stemmen, kann man nicht die gleiche Qualität erwarten, wie sie ein ausgebildeter Redakteur erbringt. Oder zumindest nicht in der geforderten Zeit mit dem notwendigen Aufwand und den vorhandenen Mitteln.
Das Interessanteste aber war die Erfahrung, dass in der Mehrzahl der für diese Studie herangezogenen Unternehmensdaten (hier zahlt es sich aus, mit einem Dienstleister zu arbeiten, der einen großen Kundenstamm aufweisen kann) auf einer Skala von 1 (keine Prozesse und damit keine Wiederholbarkeit bzw. reines Glücksspiel) bis 5 (nachvollziehbare skalierbare und realisierbare Prozesse) eine Wertung von - festhalten - "2" erzielt wurde.
Das bedeutet, dass es in den meisten der untersuchten Redaktionen fast keine lebbaren Prozesse und Standards gibt. Das Ergebnis - die Dokumentation - ist somit das Ergebnis eines Blindflugs, bei dem die Passagiere darauf vertrauen müssen, dass der Redakteur weiß, was er tut. Sonst weiß es keiner. Verbunden mit der Tatsache, dass die allermeisten Redakteur nach ca. 20 Jahren in einen anderen Beruf (nicht nur in ein anderes Unternehmen) wechseln, lässt das nichts Gutes ahnen, wenn es darum geht, den dritten Teil, die Struktur, zu untersuchen und dann im nächsten Jahr vorzustellen.
Auf dem Weg zur Qualität in der Technischen Dokumentation sind wir allem Anschein nach immer noch in der Aufwachphase.
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2 Comments
Eine kleine Diskussion dieses Artikels finden Sie auch auf Xing: https://www.xing.com/communities/posts/technische-dokumentation-1011501389?comment=34367161
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Oha. Auf Xing ist eine mittlerweile recht lange Diskussion entstanden, die wie zahlreiche Diskussionen zu dem Thema mit der untergründigen Angst vor Arbeitsplatzverlust und Angst vor Veränderung unterlegt ist.